Schuldig gemacht




Schuldig gemacht

Einmal zu unrecht beschuldigt und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, lässt sich die Ungerechtigkeit auch nicht mit einem noch so spektakulären Freispruch durch ein Wiederaufnahmeverfahren wieder gutmachen. Das Strafmaß „Lebenslang" bedeutet tatsächlich eine endgültige Amputation der Freiheit auf Lebenszeit!

Informationsdefizit
Die irrige Annahme, eine lebenslange Freiheitsstrafe wäre bereits nach 15 Jahren Haft verbüßt, ist weit verbreitet. Viele glauben sogar, man könne einen Mord begehen und schon nach wenigen Jahren bei guter Führung wieder in die Freiheit entlassen werden. Offenbar ist kaum jemand daran interessiert diesen Irrtum zu berichtigen.

Eigene Erfahrungen
Ich bin '68 geboren und so war ich bei meiner Inhaftierung im Jahre 1995 gerademal 26 Jahre alt. In Deutschland wird man nach Vollendung des 14. Lebensjahres strafmündig. So gesehen sitze ich also bereits mehr als die Hälfte meines strafmündigen Lebens im Gefängnis.
Es gab inzwischen mehrere Regierungswechsel. Der 11. September hat die Welt verän- dert. Den Euro habe ich noch nie in der Hand gehabt. Ich habe auch noch nie mit einem Handy telefoniert, geschweige denn eine SMS verschickt.  Auch das Internet kenne ich nur vom Hörensagen und so bin ich, was Kommunikations-Elektronik anbelangt, sozu sagen die moderne Form des Analphabeten.
Ungewöhnlich viele Menschen, die ich früher mal kannte, sind inzwischen verstorben und Leute die mir zu Beginn meiner Haft hin und wieder mal ge-schrieben haben, mel- den sich nicht mehr. Die Welt draußen, vor der Mauer, ist heute nicht mehr die, so wie ich sie noch von früher kenne.
Mir scheint, sie wurde nicht besser!

Persönlicher Wandel
Das Gedächtnis unterliegt dem menschlichen Vergessen. Es ist daher vollkommen natürlich, wenn Erinnerungen an das was früher mal „Freiheit“ war, im Laufe der Jahre verblassen. So reduzieren sich Lebenserfahrungen auf ein Paar wenige Ereignisse die dem Gedächtnis noch erhalten geblieben sind.
Neuer Input hingegen bezieht sich lediglich auf das Leben im Gefängnis. Im gleichen Maße wie sich Menschen z.B. in einer Ehe oder auch im berufli-chen Wirken, in ihrem Wesen mehr und mehr sogar körperlich an äußere Begebenheiten angleichen, so bin auch ich heute durch und durch Häftling.
Dass es auch mal für mich Freiheit gab oder vielleicht auch wieder Freiheit geben könn- te, ist nichts weiter als ein Fantasiegebilde das meinen Verstand weit übersteigt.

Wirtschaftliche Zukunft
Selbst bei einem astreinen Freispruch mit eindeutig bewiesener Unschuld sieht meine Zukunft alles andere als rosig aus. In der Regel ist jeder, der sich ernsthaft um eine Wie- deraufnahme bemüht hat, bis an sein Lebensende so hoch verschuldet, dass er nie wieder auf einen grünen Zweig kommt.
Nach vielen Jahren Gefängnisaufenthalt findet kaum ein Strafentlassener nochmal ei- nen Arbeitsplatz, in seinem erlernten Beruf. Somit bleiben - wenn überhaupt - nur noch schlecht bezahlte Job's.

Entschädigung
Immer wieder wird mir angetragen, wenn ich so viele Jahre unschuldig in Haft gesessen habe, müsse ich doch vom Staat eine gigantische Entschädigung bekommen.
Wir leben jedoch nicht in Amerika!
Tatsächlich entspricht die Schadensersatz-Summe einem Tritt in den Arsch! Im Übrigen dauert ein Wiederaufnahme-Verfahren in der Regel viele Jahre. Nachdem die Unschuld festgestellt wurde - ERST DANN - kann man an einen Schadensersatz-Prozess denken.
Ganz, irgendwann in ferner Zukunft also, hat man Anspruch in Höhe von derzeit 25,00 Euro für jeden Tag in Haft.
Davon nimmt sich jedoch die JVA gleich wieder 7,00 Euro pro Haft-Tag für die Unter-bringung im Gefängnis. Was dann noch von einem Schadensersatz-Betrag übrig bleibt, reicht nicht ansatzweise, um die Kosten für die Wiederaufnahme alle zu decken.

Für die Gesellschaft verbrannt
Die wirtschaftlichen Probleme werden von der Last der sozialen Probleme weit über- troffen.
Jemand der mal zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt war (völlig egal ob zu Recht oder zu unrecht) wird gesellschaftlich bis an sein Lebensende für nichts mehr anderes stehen als für Kriminalität und Gefängnis. Das 'Rede- und Antwort-stehen" müssen  wird ihn bis ins Grab verfolgen. Wer fragt denn schon nach Schuld oder Un- schuld ?
Dem Klischee zu Folge behaupten angeblich sowieso alle Straftäter unschuldig zu sein. Der Schuldspruch hängt einem Verurteilten auf Lebenszeit wie eine Behinderung an auch dann, wenn er nachträglich von der Schuld wieder freigesprochen wurde.1)
Wirklich überall stellen Gerüchte und üble Nachreden eine echte Gefahr dar. Auch das Internet sorgt für die Verbreitung.
Schon das Gefühl von niederträchtigem Getuschel hinterrücks ist eine Bedrohung.
Immer wieder gibt es Idioten die eine besondere Herausforderung darin sehen, sich mit einem Ex-Häftling anzulegen. Einmal einen schlechten Witz nicht entschieden genug zurückgewiesen, schon werden aus Klischee's und fixen Ideen Überzeugungen gespon- nen, die sich nicht mehr aus der Welt schaffen lassen.

Der Staat als Feind
Der größte Feind eines ehemals Schuldig-gesprochenen ist der Staatsapparat.
Durch die Vernetzung der Informationen werden im Zeitalter des gläsernen Bürgers alle Ämter und Institutionen - überhaupt sämtliche Bereiche, die über einen Netzanschluss verfügen - über Straftat, Verurteilung und Gefängnisstrafe benachrichtigt.Niemand fragt nach Qualität und Rechtmäßigkeit eines Richterspruches und so stehen trotz Freispruchs  zunächst Tatvorwurf und viele Jahre Freiheitsentzug zur Last.
Die Staatsorgane kommen lediglich dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nach, daher ist es nur selbstverständlich wenn Personen mit außergewöhnlichem Lebensweg zusätzlich befragt werden. Unterstützt durch automatische Kennzeichen- und Personenerfassung wird ein Verurteilter bei jeder Stichproben-  und Routinekontrolle herausgezogen und gesondert überprüft. Bei  jedem Gang aufs Amt, bei jedem Grenzübertritt in ein anderes Land sowie an jedem Checkpoint z.B. am Flughafen, selbst zu Sicherheitsvorkehrungen bei öffentlichen und politisch orientierten. Demonstrationen (z.B. G 8 in Heiligendamm, Stuttgart 21 usw ) werden grundlegenste Bürgerrechte eingeschränkt und vollständig aberkannt.
Ob schuldig oder nicht, einmal mit dem Staatsapparat aneinandergeraten, trägt jeder Brief,  jedes Klingeln am Telefon oder der Haustür die Gefahr einer weiteren Kontrolle oder Fest- nahme (aus Sicherheitsgründen) in sich.

Alle Maßnahmen, die sich irgend ein Politiker gegen den islamistischen Terrorismus ausdenkt  (Aufhebung des Datenschutzes, Abschaffung von Persönlichkeitsrechten,  Wiedereinführung der Folter usw.), sind vor allem Angriffe auf mich, da mein Name immer wieder auf einem Display erscheinen wird.
Während dessen sich ein möglicher Terrorist von staatlichen Maßnahmen schlichtweg fernhalten kann, bin ich grundsätzlich betroffen.

Haftschaden
Niemand steht dem Strafentlassenen so sehr im Weg wie ausgerechnet der Straf-entlassene sich selbst.
Grundsätzlich stellt jeglicher Verlust der Freiheit einen Schaden für die Seele dar. Bei der Haft zum Zwecke der Strafe ist das auch so gewollt! Die Folgen eines solchen psy- chischen Traumas können - je nach Ausmaß des Freiheitsverlustes unterschiedlich ausfallen. Zusätzlich spielt im Falle von besonders langen Freiheitsstrafen der Realitäts-verlust eine wesentliche Rolle,
Hier nun auf Auswirkungen einzugehen, (wie z.B. Geräuschüberempfindlichkeit, Denk- leistungsstörungen, Verlust des Zeitgefühls, emotionale Störungen und vieles mehr) würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen.
Zurück in der Freiheit können viele die Gefangenschaft zum Teil nie wieder überwinden und bleiben, wie Kettenhunde, ihr Leben lang bissig. Viele verfallen dem Alkohol. So werden Ex-Häftlinge in den aller meisten Fällen zu Sonderlingen am äußersten Rand der Gesellschaft.
Auch ein nachträglicher Freispruch ändert für einen zuvor Schuldiggesprochenen nichts daran, dass er nicht mehr weiß, wo er sich noch blicken lassen kann, ohne in Frage ge- stellt oder sogar ungerechtfertigt angegriffen zu werden.
Gesellschaftlich abgelehnt zu werden, lässt viele Menschen selbst mit ablehnender Haltung reagieren. Die Folge ist die totale Vereinsamung.

Altersaussichten
Trotzdem in bayerischen Gefängnissen Arbeitspflicht besteht, verweigert man in Bayern die Abführung der Renten. Die Justiz  behält also zu Lasten der Allgemeinheit die Ren- tenbeiträge einfach ein!
Die Löhne fallen in den Gefängnissen derart gering aus, dass man sie nur als eine sym- bolische Geste begreifen kann.
Neben allen Schulden, die ohnehin schon zur Last fallen, ist es für einen Häftling abso- lut unmöglich, nebenbei noch eine zusätzliche Privatrente anzusparen.
Auch jemand der unverschuldet sein Leben lang in Haft gesessen hat, wird im Alter zu solchen Leuten gehören, die zum Schluss mittellos und völlig vereinsamt an ein Bett festgeschnallt mit Magensonde und in den eigenen Fäkalien wundliegend auf den Tod warten. 
Ich werde einer von ihnen sein.
Im medikamentösen Dämmerzustand könnte dann ein mordender Altenpfleger - vorbei an Debatten über Sterbehilfe - eine willkommene Lösung sein!

Fazit
Vor diesem Hintergrund ist für mich eine Wiederaufnahme, die lediglich zur Einstellung des Verfahrens führt, absolut NICHT zu akzeptieren!
Das 'Rede-, und Antwort-stehen-müssen' für Morde, die ich weder begangen, noch auch nur im Geringsten im Sinn hatte, werde ich auf Lebenszeit nicht mehr los. Ich kann also überhaupt nicht anders, ich bin gezwungen, die vollständige Aufklärung meines Falles einzufordern. Nur durch Antworten und Erklärungen, die durch ein sachgerechtes Urteil bestätigt und gestützt sind, kann ich dem Vorwurf entgegentreten, ich. hätte mir mit juri- stischen Winkelzügen den Kopf aus der Schlinge gerettet.
Eine Einstellung des Verfahrens käme einer weiteren Verweigerung der Aufklärung des Tatgeschehens gleich.
Auf eine Entlassung aus der Haft, die lediglich auf einer Verfahrenseinstellung beruht, kann ich deshalb verzichten.

Es kann aber doch wohl nicht angehen, dass man die Täter weiter ungeschoren da- vonkommen lässt! Entweder sitzen SIE ALLE auf der Anklagebank oder aber der Staat ist aus lauter Unwilligkeit zur Aufklärung der Morde unwiderleglich gescheitert.
Matthias

1) Anm.: Siehe in letzter Zeit z.B. im Fall G. Mollath! R.F.

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